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LEX ORANDI, LEX CREDENDI: Das Gesetz des Betens und das Gesetz des Glaubens

Augustin Sokolovski

Bei der Übersetzung liturgischer Texte ist es wichtig, die genaue Bedeutung des Originals beizubehalten. Fehler und Ungenauigkeiten bei der Übersetzung haben vielfach zu tragischen Spaltungen geführt und die Einheit des Christentums und der Orthodoxie zerstört.

Aus der Geschichte des orthodoxen Christentums wissen wir, dass Patriarch Peter II. von Antiochia (471–488) die Verwendung des Glaubensbekenntnisses des Konzils von Nicäa-Konstantinopel (381) im Gottesdienst zur Pflicht machte. Seitdem und bis heute wird dieses Glaubensbekenntnis in der Liturgie vor dem eucharistischen Hochgebet gelesen oder gesungen.

Das Glaubensbekenntnis wird auch bei der Großen Komplet sowie Mitternachtsgottesdienst alltäglich gelesen. Es ist schon sehr beeindruckend, welch alte Tradition die Gläubigen erben. Im 21. Jahrhundert erfüllen sie im Wesentlichen den Befehl des Patriarchen von Antiochia aus dem 5. Jahrhundert.

Nach der Einführung des Glaubensbekenntnisses in die Liturgie wurde es zu einem liturgischen Text. Die Übersetzung, Ausgabe oder Interpretation war nicht mehr nur eine Frage der Theologie, sondern wurde Teil des Gebetslebens der östlichen Christenheit. „Das Gesetz des Gebets ist das Gesetz des Glaubens“, lautet das Axiom des antiken Christentums. Lex orandi – lex credendi, – diese Formel klingt auf Latein. Und dies ist nicht nur eine Formel, sondern die grundlegende Plattform theologischen Denkens überhaupt. Es verweist uns auf einen Zusammenhang, der uns in der Gemeinschaft verbindet und stärkt.

Im christlichen Westen verlief ähnlich die Geschichte, allerdings viel später. Karl der Große (800–814) machte das Glaubensbekenntnis zur Pflicht für den Gottesdienst. Zu dieser Zeit war im lateinischen Text, am Hof Karls des Großen selbst, bereits der Zusatz des Filioque enthalten. Der lateinische Begriff „filioque“ bedeutet, dass der Heilige Geist nicht nur vom Vater kommt, wie es in unserer östlichen Originalfassung des Credos der Fall ist, sondern auch vom Sohn. Dabei handelte es sich um eine Ergänzung zum Originaltext, eine Übersetzungsversion, die viele orthodoxe Christen als Häresie betrachteten.

Nur 250 Jahre später, im Jahr 1054, wurde das Filioque zu einem der Gründe für die Kirchenspaltung zwischen Katholizismus und Orthodoxie, zwischen „West“ und „Ost“. Neben dem päpstlichen Primat, dem Rom eine dogmatische und nicht nur eine praktische Bedeutung zuschrieb, gab es zahlreiche weitere Gründe. Im Laufe der Zeit haben einige von ihnen ihre Relevanz verloren. Aber das Filioque bleibt. Filioque provoziert weiterhin Proteste unter orthodoxen Christen.

Obwohl das Jahr 1054 als Datum der endgültigen Kirchenteilung von vielen bestritten wird, lässt sich nicht leugnen, dass die eucharistische Gemeinschaft der Kirchen seit fast tausend Jahren nie wieder wiederhergestellt wurde.

Die Geschichte ist immer eine Lehre. Liturgische Texte müssen mit besonderer Vorsicht behandelt werden. Ihr Lesen und Singen müssen sorgfältig, präzise, nachdenklich und aufmerksam sein. Während des Gottesdienstes sollte man versuchen, mit dem Bewusstsein zu singen und zu lesen, weil es nicht nur um Worte und musikalische Klänge geht, sondern um eine ständige und mutige Ansprache unserer gesamten Existenz an den Schöpfer und Erlöser.

„Verflucht sei, wer das Werk des Herrn fahrlässig tut“, steht im Buch des Propheten Jeremia geschrieben (Jer. 48:10). Gott ist immer aufrichtig zu uns. Er spricht uns unmissverständlich und aufmerksam an, er täuscht nie. Dies ist die Essenz des Bundeskonzepts zwischen Gott und den Menschen, dies ist die Offenbarung der göttlichen Treue zu allem, was er selbst versprochen hat.

Die Gottesdienste der Fastenzeit mit ihren vielen biblischen und liturgischen Texten, die die Kirche singt und liest, sind für jeden Gläubigen eine Hilfestellung zur Prüfung der eigenen Biografie und des eigenen Gewissens. Sie helfen Gläubigen, sich mit dem eigenen Leben auseinanderzusetzen. Gott behandelt uns nicht vernachlässigend. Das Gebet eröffnet die Möglichkeit zu verstehen, ob wir Gottes Treue und Liebe wirklich erwidern.