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LITURGIE DER VORGEWEIHTEN GABEN

Augustin Sokolovski

Während der Fastenzeit wird in orthodoxen Kirchen die Göttliche Liturgie der vorgeweihten Gaben gefeiert. Von der Ausgestaltung her handelt es sich „nur“ um eine Vesper mit Kommunion.

Während dieses Gottesdienstes kommunizieren Gläubige. Aber diese Liturgie selbst hat einen klaren Bußcharakter. Das Gebet des Heiligen Ephraim des Syrers (+373) wird gelesen. Es werden viele Verbeugungen, mit der Stirn zum Boden gemacht.

Der Gottesdienst der vorgeweihten Gaben wird der Tradition zufolge „Liturgie“ genannt. In den europäischen Sprachen im westlichen Christentum kann jeder öffentliche Gottesdienst als Liturgie bezeichnet werden. Im Russischen und anderen Sprachen der orthodoxen Völker ist die Liturgie in erster Linie ein eucharistischer Gottesdienst.

Daher in Bezug auf den Gottesdienst der vorgeweihten Gaben ist ein solcher Name falsch. Denn der Leib und das Blut Christi wurden am vorhergehenden Sonntag während der Liturgie des Heiligen Basilius des Großen zur Kommunion geweiht. Während des Gottesdienstes der vorgeweihten Gaben empfangen die Gläubigen die Kommunion, aber es gibt keine Wandlung oder Transsubstantiation von Brot und Wein in Leib und Blut Christi. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass in der orthodoxen Kirche während der Fastenzeit an Wochentagen kein Eucharistisches Gebet gefeiert wird. Eine Ausnahme ist das Fest Mariä Verkündigung. Am Tag der Verkündigung wird gemäß den Regeln die Liturgie des Johannes Chrysostomus gefeiert.

„Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt“, schreibt der Apostel Paulus (1 Kor 11,26). Jeden Augenblick erwarten Christen die Wiederkunft Christi. In diesem Kontext der Erwartung gebietet Paulus, dass die Eucharistie jederzeit gefeiert werden soll. Warum dann feiert die Orthodoxe Kirche die Eucharistie nicht an den Wochentagen - also von Montag bis Freitag - der Fastenzeit?

Wichtig zu wissen ist, dass dieser Verzicht keinen dogmatischen Grund hat. Es handelt sich lediglich um eine uralte Praxis, die in der orthodoxen Kirche allgemein üblich geworden ist. Erst die Zeit und die vielen Jahrhunderte, die seit seiner Einführung vergangen sind, haben es allgemein und de facto obligatorisch gemacht.

Für diese Praxis des Verzichts auf die Feier der eucharistischen Liturgie haben Theologie und Volksfrömmigkeit verschiedene Erklärungen gefunden. Manche dieser Erklärungen sind sehr erbaulich, andere entsprechen nicht der Realität.

Ein orthodoxer Christ sollte in der Lage sein, dogmatische Grundsätze und Wahrheiten von bloßen menschlichen Meinungen zu unterscheiden. Letztere können sehr nützlich sein, sind aber immer nur vorübergehend.

Die orthodoxe Tradition bezeichnet den heiligen Papst Gregor den Großen (540–604) als Urheber des Gottesdienstes der vorgeweihten Gaben. Gregors Prototyp und Vorbild in Fragen des Glaubens und der Moral war der Kirchenvater Augustinus (354-430). Er lebte fast zwei Jahrhunderte vor Gregor. In der Orthodoxie wird er als Heiliger verehrt, unter orthodoxen Christen ist er jedoch kaum bekannt.

Augustinus schrieb vieles zu Zeit und Ewigkeit. In seinen Überlegungen zum Mysterium der Menschwerdung schrieb er: „Der Sohn Gottes, der jenseits aller Zeit ist, wurde selbst vergänglich. Er wurde zur Zeit, um uns von der Zeit zu befreien.“ Gnade ist Kommunikation. Indem wir an den Heiligen Mysterien des Leibes und Blutes Christi teilhaben, werden wir eins mit Gott und frei von der Zeit, die vergeht.