Dr. Augustin Sokolovski (ins Deutsche übersetzt vom Rev. Kathrin Rehmat)
Heute feiert die orthodoxe Kirche im julianischen Kalender das Fest der Übertragung der Reliquie des Heiligen Kreuzes. Dieses liturgische Fest hat einen Tag des Vorfestes, was bedeutet, dass es von der Kirche jedes Jahr an 2 Tagen, am 13. und 14. August, gefeiert wird.
In seiner unmittelbaren Bedeutung ist es ein historischer Feiertag, der mit dem Leben der Hauptstadt des Oströmischen Reiches, mit Konstantinopel - bis 1054 – verbunden ist. Jedes Jahr wurde an diesem Tag eine feierliche Prozession mit der Reliquie des Kreuzes Jesu Christi durchgeführt. In der heißen Sommerzeit im August wüteten oft Epidemien in der Stadt. Das Zeigen des Kreuzes wurde durch die Kraft der Gnade Gottes und das Gebet des Volkes Gottes zu einem Heilszeichen, das zu ihrer tatsächlichen Beendigung der Pandemien beitrug.
Diese sommerliche Feier zu Ehren des Heiligen Kreuzes hat aber noch eine weitere historische Bedeutung. Laut einer Reihe von Historikern der russischen Kirche wurde an diesem Tag im Jahr 988 der Beginn der Taufe Russlands gelegt.
In unserer Zeit ist die historische Bedeutung des Festes entweder vergessen oder in den Hintergrund gedrängt. Die Taufe Russlands wird von der russischen Kirche am Tag des Hl. Wladimir (+1015) gefeiert.
Die Stadt Konstantinopel wurde 1930 durch die Entscheidung des damaligen türkischen Führers Kemal Atatürk in Istanbul umbenannt. Die orthodoxe Bevölkerung, die sich als «Romaien», d.h. «Römer», wie sich die orthodoxen Griechen Kleinasiens nannten, wurden gewaltsam von der Halbinsel vertrieben.
Die orthodoxen Gläubigen in der Stadt wurden danach ständig verfolgt, ihre Zahl nahm ab und so verschwanden sie allmählich beinahe. Das heutige Patriarchat in Istanbul ist Teil einer kleinen christlichen Minderheit in der überwiegend sunnitisch islamisch bevölkerten immer noch wunderschönen Stadt am Bosporus.
Durch das Schicksal Gottes erhielt der Tag der Entstehung jedoch eine theologische Bedeutung. Jetzt wird es von der Kirche als besonderes Sommerfest zu Ehren des Kreuzes Jesu Christi gefeiert. „Das Kreuz ist unser Schutz und unsere Hilfe, es ist unsere Hoffnung“, - so glaubt das Volk Gottes. „Das Kreuz ist ein Zeichen des Sieges Christi über Hölle und Tod“, so sagt die Heilige Schrift.
„Ich bin die Auferstehung und das Leben“, sagt der Herr im Evangelium (Johannes 11,5). Damit ist die Auferstehung nicht nur ein historisches und zugleich theologisches Ereignis, sondern auch einer der Namen des Herrn Jesus. Die anderen Namen: Lamm Gottes, Amen, König der Könige usw.
„Wenn Christus nicht auferstanden ist, hat unser Glaube keinen Sinn“, schreibt Paulus (1. Korinther 15,4). Das Kreuz Christi ist und bleibt untrennbar mit der Auferstehung verbunden. Tod und Leben so ineinander verschlungen durchdringen das Geheimnis des christlichen Glaubens, der ein Erlösungsglauben diesseits und jenseits ist!
Das ist der Grund, warum die orthodoxe Kirche nicht nur das Kreuz Christi in seiner betenden Reflexion weiss, sondern auch auf das Kreuz als Person sich wendet. Biblisch-theologisch versteht sich Kirch als der Leib Christi.
Der Menschensohn «hat keinen Platz, um sein Haupt niederzulegen», sagt der Herr im Evangelium (Matthäus 8,20). Auf eine ähnliche Weise wendet sich die pilgernde Kirche - dieser arme und verfolgte Leib des Herrn Jesus auf Erden - an das Kreuz Christi als Person.
Das Kreuz ist der Name des Herrn Jesus. Es wird in der orthodoxen Tradition als lebensspendend bezeichnet. Denn das Kreuz ist der Herr Jesus selbst.